zurück

Naturspaziergang
8. - 10 September 2006

Solo rund Fehmarn

Im Faltboot im Uhrzeigersinn einmal rund um die Ostseeinsel Fehmarn

Gern wollte ich das anhaltend schöne Wetter noch für eine Wochenendtour mit dem Faltboot nutzen. Recht schnell hatte ich mir als lohnendes Ziel die Umrundung der Insel Fehmarn ausgesucht. Ausschlaggebend war hauptsächlich meine Sehnsucht, endlich mal wieder an die Ostsee zu kommen; zum anderen bietet die Umrundung einen einfachen logistischen Vorteil: Man kommt am Ende der Tour wieder an den Anfangspunkt - und damit auch zum Auto zurück.
Am Freitag nach der Arbeit lud ich also mein Faltboot nebst Paddel, Schwimmweste, Trockenanzug, Auftriebskörpern, wasserfesten Packsäcken sowie allem weiteren, was man für eine zweitägige Tour benötigt, ins Auto und verproviantierte mich dann im nahegelegenen Supermarkt.
Bis nach Großenbrode, dem letzten Ort auf dem Festland vor der Insel Fehmarn und der Fehmarnsundbrücke, waren es dann doch noch 110 km. Leider war die Dämmerung schon sehr weit fortgeschritten, als ich dort auf einem Parkplatz hinter dem Deich an der Nordwest-Küste ankam, so daß ich meinen ursprünglichen Plan, das Faltboot bereits am Vorabend vor der eigentlichen Paddeltour aufzubauen, aufgeben mußte. Statt dessen spazierte ich im Dunkeln auf dem Deich entlang und haderte mit dem Wetter: Der noch recht warme Wind blies in steifen Böen aus nordwestlicher Richtung und trieb große Wellen an den Strand. Selbst im Dunkeln konnte ich erkennen, daß sich weit draußen im Fehmarnsund die Wellen mit weißen Schaumkronen brachen. War unter diesen Umständen überhaupt an eine Paddeltour mit meinem eher trägen, behäbigen Faltboot zu denken?
Schließlich suchte ich mir eine etwas sichtgeschützte Ecke am Strand und ließ mich dort mit meinem Schlafsack nieder. Bei einer Flasche Wein genoß ich den Mondaufgang, den Geruch der See, das Rauschen der Brandung, den allgegenwärtigen Wind, und schließlich schlief ich unter sternenklaren Himmel ein.

Am nächsten Morgen erwachte ich um etwa sieben Uhr, die aufgehende Sonne färbte den Osthimmel in malerisches orange und gelb. In Heiligenhafen schoben sich die ersten Segelboote hinaus auf die Ostsee. Schnell machte ich mich an den Aufbau meines Faltbootes und nach gut einer Stunde hatte ich alles Gepäck wasserdicht verpackt im Boot verstaut. Nach einem kurzen aber nahrhaften Frühstück schlüpfte ich dann in den Trockenanzug und schleppte das Boot auf dem Bootswagen hinter mir her durch den weichen Sand zum Wasser.
Immer noch blies der Wind aus nord-westlicher Richtung, die Brandung hatte aber etwas nachgelassen. Trotzdem krachten die Wellen mit einiger Wucht an den Strand, und bis hinüber nach Fehmarn sah ich die weiße Gischt der brechenden Wellen. Der Himmel hatte sich über Nacht mit einer dünnen grauen Wolkendecke bezogen.
Ich hatte einige Schwierigkeiten, das Boot trocken durch die Brandung zu bekommen und einzusteigen. Bevor ich die Spritzdecke hatte schließen können stieß das Heck des Bootes wieder in den weichen Sand des Strandes. Mit ein paar kräftigen Paddelschlägen bekam ich das Boot aber schnell wieder ins tiefere Wasser.
Mein erster Plan sah vor, parallel zur Küste nordwärts und über den Sund zu paddeln, um dann an der Südküste Fehmarns einen westwärtigen Kurs gegen den Wind einzuschlagen. Ziel war es, in die Orther Reede zu gelangen, im Windschatten des Strandhaken Krummsteert erhoffte ich mir eine abgeschwächte Dünung, die ein Vorankommen auch gegen den Wind erleichtern würde.
Doch schon bald gab ich dieses Vorhaben auf. Das Boot lag stets quer in den Wellentälern und wurde vom Wind und der Brandung immer wieder Richtung Strand getragen. Statt dessen drehte ich den Bug in den Wind und steuerte nun direkt das Flügger Leuchtfeuer an. Zwar hatte ich nun eine Strecke von 7,5 km über die Ostsee vor mir ohne die Möglichkeit Pausen einzulegen, dafür mußte ich bei weitem nicht so viel Kraft aufwenden, das Boot auf Kurs zu halten.
Der kürzeste Weg vom Strand in Großenbrode hinüber zum Krummsteert beträgt etwa 5,5 km, jedoch ist der Sandhaken als Vogelschutzgebiet ausgewiesen und ein Anlanden daher verboten. Erst am Flügger Leuchtfeuer kann man an Land gehen.
Nachdem ich den Leuchtturm passiert hatte, ging die Fahrt weiter Richtung Norden. Nun kamen die Wellen wieder von der Seite - nicht gerade die besten Bedingungen zum Paddeln. Um die Mittagszeit herum begann der Wind jedoch etwas abzuflauen, auch gingen nicht mehr so viele Wellen über Deck. Die Wolkendecke wurde dünner, gelegentlich ließ sich die Sonne blicken. Es versprach ein schöner Nachmittag zu werden.
Bei Wallnau legte ich am Kieselstrand eine längere Pause ein. Ich krempelte meinen Trockenanzug auf links und ließ ihn, auf einen Zaun gehängt, von Wind und Sonne trocknen. Meine Kaltverpflegung bestand aus Brötchen, Wurst und Käse und Brause. Das Wasser für einen Becher Kaffee machte ich auf meinem Gaskocher heiß.
Ein älteres Ehepaar mit starkem sächsischen Akzent inspizierte mit Kennerblick mein Faltboot. Der Mann erzählte mir, daß man früher ja auch viel mit dem Kajak unterwegs war, aber eher auf der Mecklenburger Seenplatte. Das wäre ja auch interessanter als an der Küste. Hier gäbe es ja nichts zu sehen, auf den Flüssen, Seen und Kanälen hingegen, das wäre ja viel schöner. Jeder nach seiner Fasson...
Ich bin etwa alle Stunde für etwa 10 Minuten an Land gegangen - hauptsächlich, weil meine vier Buchstaben nach etwas Entspannung und Abwechselung verlangten, aber natürlich auch, um einen kurzen Blick über den Deich zu werfen. Trotz allem werde ich mir wohl Gedanken über mein Sitzmöbel im Boot machen müssen...
Nachdem ich die nord-westliche Spitze Fehmarns, das Markelsdorfer Huk, umfahren hatte, kamen die Wellen von hinten und alles wurde einfacher. Zwar hatte der Wind im Laufe des Tages stark nachgelassen und auch die Wolkendecke war immer dünner geworden, trotzdem rollte die Dünung die ganze Zeit über seitlich gegen mein Boot, doch nach der Umfahrung des Huks hatte ich den Seegang von Achtern und auf einmal schien es, als würde das Boot von allein fahren und seinen Kurs finden.
Nach einem kurzen Landgang im Bereich Teichhof, mehr um die Gesäßmuskulatur zu entspannen, als um wirklich Pause zu machen, begegnete mir ein Seekajakfahrer, der allerdings nur einen kurzen Gruß für mich übrig hatte. Seinem schlanken, schnellen Boot warf ich aber doch noch einen schmachtenden Blick nach.
Im Westen ging die Sonne unter und tauchte den Himmel in rot und orange - leider konnte ich davon nicht viel sehen, mein Blick ging in die andere Richtung. Der Wind hatte fast nachgelassen, doch die Dünung rollte weiter ostwärts und trug mich und mein kleines Boot mit sich.
Am schon dunklen Horizont tauchte der hell erleuchtete Fährhafen Puttgarden auf, langsam wurde es Zeit für mich, einen Schlafplatz für die Nacht zu finden. Vor dem Naturschutzgebiet "Grüner Brink" zog ich mein Boot an Land und rollte meinen Schlafsack aus. Den Trockenanzug hing ich wieder zum Trocknen auf einen Weidezaun. Ich war zu faul und zu bequem, mir noch eine warme Mahlzeit zuzubereiten, also verschlang ich gierig die letzten Brötchen und Würstchen, dazu gab es den Rest Brause. Dann verkroch ich mich in den Schlafsack und hörte noch etwas Musik aus dem MP3-Player.
Drüben auf der dänischen Insel Lolland, die man während des Tages nicht einmal erahnen konnte, markierten Straßenlaternen die Küstenlinie. Fähren von und nach Rødby Havn pendelten über den Belt. In dunkles Orange getaucht ging über der Ostsee der Mond auf, ein Fuchs huschte vorbei und ging seiner Wege.

Am nächsten Morgen war ich bereits um halb sieben wieder auf den Beinen und verstaute all mein Gepäck wasserdicht verpackt im Boot. Vor mir lag noch eine Etappe von 35 km, und ich konnte schlecht abschätzen, wie lange ich benötigen würde. Daher wollte ich keine unnötige Zeit vertrödeln. Auch auf das Frühstück verzichtete ich vorerst.
Bald passierte ich die Einfahrt zum Fährhafen Puttgarden. Einige Angler auf der Mole würdigten mich keines Blickes. Von hier aus fahren die Fähren auf der sogenannten Vogelfluglinie hinüber nach Rødby Havn in Dänemark. Die Fähren schlucken nicht nur PKW und LKW, um sie auf der anderen Seite wieder auszuspucken, sondern auch ganze Eisenbahnzüge.
Die Wolkendecke hatte sich über Nacht weitgehend verzogen, die Dünung hatte zwar nachgelassen aber sie rollte immer noch in östliche Richtung und trug mein kleines Boot mit sich. Auch der Wind stand günstig, und so kam ich flott voran und passierte schnell den Leuchtturm von Marienleuchte.
Die Küste im westlichen Teil der Insel wird hauptsächlich durch einen mehr oder minder schmalen Strand geprägt, hinter dem sich ein flacher Deich erhebt. Häufig sieht man flache von Strandhafer bewachsene Dünen. Hinter dem Deich finden sich Wiesen und Weiden, Campingplätze und Fichtenschonungen. An manchen Stellen hat man aus Gründen des Naturschutzes auf die Eindeichung verzichtet, hier können die Wellen bei Sturm über den Strand hinweg an Land rauschen und die dortigen Salzwiesen mit Salzwasser vernässen. Diese Salzwiesen dienen vielen seltenen Vogelarten als Brutgebiet, zudem gedeiht hier eine ungewöhnliche Flora.
Die östliche Küste hingegen ist ganz anders und wird durch ockerbraune lehmige Steilwände geprägt, die von einem schmalen Waldstreifen aus mächtigen Eschen gesäumt wird. Strauchwerk aus Wildrosen, Weißdorn und Holunder bilden ein lockeres Unterholz. An den nackten Steilwänden finden sich vereinzelt Pionierpflanzen wie der Huflattich, an feuchten Stellen und kleinen Rinnsalen gedeiht Pestwurz, Giersch und Wiesenkerbel. Manchmal geht der Waldstreifen über in dicht verwachsenes Unterholz. Ein Reh, das am Strand entlang lief, ließ sich durch mich im Kajak nicht stören. Harmlose Ohrenquallen trieben im Wasser, vereinzelt aber auch die eine oder andere Feuerqualle.
Um halb zehn legte ich an einem privaten Badesteg an und machte eine längere Frühstückspause. Da ich keine Brötchen und auch keine Wurst und keinen Käse mehr hatte, baute ich den Gaskocher auf und kochte mir eine Portion Nudeln in Tomatensoße. Dazu gab es dann einen Becker Kaffee und Brause. Frisch gestärkt ging es nach etwa einer dreiviertel Stunde weiter.
Das Wasser entlang der Steilküste ist nicht sehr tief. Überall finden sich große Findlinge, von denen viele knapp unter der Wasseroberfläche verborgen liegen, viele aber auch über den Wasserspiegel hinausragen. Seetang und Algen, aber auch Miesmuscheln siedeln an ihnen. Überhaupt ist der schmale Strand mit vielen Steinen übersät. Wer Zeit und Muße hat kann hier mit Sicherheit versteinerte Ammoniten und Seeigel zwischen den Kieseln finden.
Den meiner Meinung nach schönsten Teil der Reise stellt die Umfahrung des Leuchtturmes von Staberhuk ganz im Südosten der Insel dar. Entlang der nicht all zu hohen Steilküste paddelt man zwischen allerlei im Wasser liegende Findlinge hindurch und stößt dann auf einen sehr schmalen Strandsaum, der über und über mit Schalen von Miesmuscheln bedeckt ist. Vom Wind gepeitschte Weißdornsträucher schmiegen sich eng an die Küstenlinie. Unter ihnen hindurch schlängelt sich ein schmaler Pfad hinauf zum sonderbaren Leuchtturm. Er ist auf seiner Nordseite aus gelben, auf der Südseite jedoch aus roten Ziegeln errichtet worden. Leider kann man das Leuchtturmgelände nicht betreten, die Häuser am Leuchtturm sind bewohnt. Trotzdem hat man auf dem Pfad entlang der Steilküste einen sehr schönen Blick auf die Ostsee. Vor dem ersten Weltkrieg lebte und wirkte hier eine Zeit lang der expressionistische Maler Ernst Ludwig Kirchner ( * 1880, † 1938 ).
Von Staberhuk an führte meine Route westwärts. Eine Weile noch gleitet man an einer mit dichtem Strauchwerk bestandenen Steilküste entlang, die dann in einen weißen, mit Strandhafer bestandenen Dünenstreifen übergeht. Das Wasser ist nicht sehr tief und die Strände laden zum Baden ein. Bald rückt die Fehmarn-Sund-Brücke ins Blickfeld, doch um sie zu erreicht muß man noch einige Kilometer paddeln.
Zuvor tauchen aber noch drei große Hochhäuser mit Ferienappartements am Horizont auf, die im Ferienzentrum von Burgtiefe stehen. Während der Saison stehen hier Strandkörbe, der Strand wird von der DLRG überwacht und man muß Kurtaxe zahlen.
Am Fuße eines breiten Steges legte ich an und gönnte mir an der Strandpromenade ein Eis und einen Becker Kaffee. Jetzt am Ende der Saison war nicht mehr all zu viel Betrieb, obwohl doch noch einige Strandkörbe belegt waren. Im Wasser war allerdings niemand am Baden, wahrscheinlich war das Wasser schon zu kalt. Ich vermute, in der Hauptsaison wäre man nicht so gnädig mit mir verfahren und hätte die Kurtaxe verlangt.
Nach der Passage von Burgtiefe schiebt sich eine Steinmole in die Ostsee, hinter der sich die Einfahrt zum Burger Binnensee zu verbirgt. Dieser dient vielen Booten und Segelyachten als schützender Hafen. Hervorgerufen durch verschiedene Strömungen und ein- und auslaufende Schiffe treten hier recht kabbelige Wellen zutage. Zudem muß man aufpassen, daß man nicht ins Kielwasser größerer und vor allem schnellerer Boote gerät. Auch Jetskis können plötzlich mit hoher Geschwindigkeit auftauchen. Man muß seine Augen also überall haben.
Hat man die Einfahrt zum Burger Binnensee passiert nimmt die Küste wieder die Gestalt einer Steilküste an. Von nun an ging es direkt auf die Fehmarnsundbrücke zu. Am südlichen Ufer auf dem Festland tauchte Großenbroderfähre auf. Von hier aus fuhren die Fähren hinüber nach Fehmarn, bevor die Brücke gebaut wurde.
Auf den letzten Kilometern meiner Reise hatte ich Wind aus Ost, also von achtern, zudem rollte die Dünung aus östlicher Richtung heran. Dadurch kam ich recht flott voran. Darüber hinaus wurde die Dünung im Sund zwischen Insel und Festland immer höher und unregelmäßiger. Derweil näherten sich von achtern vier Segelboote, die ebenfalls den Sund passieren wollten. Allerdings überholten sie mich alle noch vor der Brücke.
In kabbeligem Wasser paddelte ich dann unter der Fehmarnsundbücke hindurch. Gleich anschließend ging es weiter in südliche Richtung zum Festland und dann immer am Strand entlang bis Großenbrode. Diesmal rollten keine Wellen auf den Strand zu, diesmal gab es keine Brandung, und so war es ein leichtes, zu meinem Startpunkt zurückzukehren. Nicht so leicht war es allerdings, das Boot auf dem Bootswagen durch den weichen Sand über den Strand zum Parkplatz zu zerren.
Nachdem ich mich aus dem Trockenanzug geschält hatte und das Boot zerlegt im Auto lag, habe ich mich auf dem Deich auf eine Bank gesetzt und dem Sonnenuntergang zugeschaut. Meine Arme und meine Schultern taten weh, mein Hintern jubelte, daß er endlich aus dem Boot heraus war. Für eine kurze Zeit hatte ich mal wieder diesen Zustand erreicht, in dem ich einfach wunschlos glücklich war. Die Fahrt war einfach wunderschön, bestimmt mache ich die Runde noch einmal. Wer weiß, vielleicht wage ich auch mal den Sprung über den Belt hinüber nach Lolland.

Jens

 

zurück