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Naturspaziergang
07. Mai 2006

Paddeln auf der Sorge...

Über den Winter hatte ich viele Veränderungen und Verbesserungen an meinem Faltboot vorgenommen. Die meiste Zeit lag es aufgebaut im Flur, und gelegentlich hatte ich kleinere Fahrten auf meinem damaligen "Hausfluß", der Haaler Au unternommen, einem kleinen Fluß in Mittelholstein, der in den Nord-Ostsee-Kanal mündet. Ende April wollte ich das sonnige Wetter aber gerne nutzen, um endlich mal wieder ein anderes Gewässer unter den Kiel zu bekommen. Ich entschied mich für die Sorge, einen rechten Nebenfluß der Eider.
Die Sorge hat ihren Ursprung im Bistensee etwa 10 km nördlich von Rendsburg und fließt in westliche, später südwestliche Richtung, bis sie nach etwa 32 km bei Hohn in die Eider mündet. Die ersten zwei Kilometer vom Bistensee bis zur Vereinigung mit dem Mühlenbach im Owschlager Moor sollen nicht paddelbar sein, daher fuhr ich mit dem Auto bis Owschlag, um eben dort in den Mühlenbach einzusetzen.
Der Mühlenbach bildet sich nördlich von Owschlag aus mehreren Entwässerungsgräben und Bächen und fließt am östlichen Ortsrand südwärts, schlägt dabei einen Haken, entwässert noch den Owschlager See und mündet schließlich in die Sorge.
In Owschlag parkte ich mein Auto bei der alten Wassermühle, nachdem ich das Boot und Gepäck an der Brücke über den Mühlenbach ausgeladen hatte. Anschließend zog ich das fertig bepackte Boot hinunter ins schnell dahinströmende Wasser, ließ mich in den Sitz fallen, und schon begann die Reise. Der noch schmale Bach schlängelte sich flott durch eine hügelige Wiesenlandschaft, gelegentlich versperrten überhängende Weidenäste den Wasserlauf, die ich dann erst mit der Klappsäge kappen mußte. Gelegentlich hatte ich Grundberührungen mit Schwellen und Findlingen, die im Wasser lagen, doch das stellte kein Problem dar.
Nach der Passage einer kleinen Straßenbrücke wurde die Landschaft offener und der Mühlenbach erreichte das Owschlager Moor. In diesem Bereich
stehen am Uferrand Schilder, die eine Befahrung untersagen. Laut Wassersport-Wanderkarte des Jübermann-Verlages sind diese Schilder jedoch ohne Rechtsgrundlage aufgestellt worden und dürfen daher ignoriert werden. Rechter Hand taucht bald der Owschlager See auf; wer mag, kann ihn über die See-Aue befahren. Nach einem weiterem Kilometer mündet der Mühlenbach dann in die Sorge. Wer über die Schulter zurückschaut, wird feststellen, daß die Sorge der kleinere der beiden Flüße ist.
Nach einer verspäteten Frühstückspause am Ufer(ich hatte nur eine Tafel Schokolade und eine Flasche Brause dabei) ging die Fahrt weiter. Schon früh nutzten Bauern die Flüsse in Schleswig-Holstein zur gezielten Entwässerung von Wiesen und Ackerflächen. Der Wasserstand jener Flüsse, die in die Nordsee münden, ist aber abhängig vom Gezeitenstand. Insbesondere Sturm- und Springfluten führten dazu, daß große Flächen im weit zurückliegenden Hinterland nicht entwässern werden konnten. Die weiten Moore, die sich seit dem Ende der Eiszeit ausgebildet hatten, konnten über die Jahrhunderte landwirtschaftlich nicht genutzt werden. Lange Zeit diente die Eider mit ihren unbewohnten sumpfigen, moorigen Landstrichen als Grenzfluß zwischen dem deutschen und dem dänischen Königreich.
Im Jahre 1759 rief der damalige dänische König Friedrich V. Aussiedler in sein Land, um die Landwirtschaft anzukurbeln und so die Staatseinnahmen zu erhöhen. Diese Siedler sollten schleswigsche und jütländische Heideflächen und Moore kolonisieren. Bedrängt durch die Not des siebenjährigen Krieges, der gerade im Südwesten Deutschlands tobte, folgten Schwaben, Hessen und Pfälzer dem Angebot des dänischen Königs. Doch statt urbaren Ackerlandes fanden die Kolonisten eine wüste Moorlandschaft vor.
Viele der Kolonisten brachen ihre erfolglosen Siedlungsversuche ab und ließen sich schließlich andernorts nieder. Weite Flächen, insbesondere die Heideböden, ließen sich mit der Technik der damaligen Zeit nicht in fruchtbare Ackerböden umwandeln.
Im Bereich der Niederungen zwischen Eider und Sorge wurden auf zwei bewaldeten Geestinseln, die die Moorflächen überragten, Dörfer angelegt: Christiansholm und Friedrichsholm. Die Siedler hausten zuerst in Erdhöhlen und später in sogenannten Kolonistenhäusern, 8 x 12 Meter großen reetgedeckten Katen.
Bereits um 1624 hatte man mit der Errichtung des Umleitungsdeiches und dem Aushub der neuen Sorge dafür gesorgt, daß alle östlichen Zuflüsse zum heute trockengelegten Meggersee abgeleitet wurden. Dabei wurde jener Teil der stark mäandernden Sorge, der heute "alte Sorge" heißt, abgetrennt und der Flußlauf um über 20 km verkürzt. Bei Christiansholm schützte die sogenannte Sandschleuse fortan das Gebiet der "oberen Sorge" vor dem Einfluß der Gezeiten.
Doch aufgrund der hohen Strapazen und der geringen Aussichten auf Erfolg des Unternehmens verließen viele der Siedler wieder die Region und ließen sich anderswo nieder. Es zeigte sich, daß das Moor nicht tragfähig genug war für massive Häuser und Stallungen; die Siedler hatten kein Vertrauen in den schwarzen Moorboden.
Insgesamt sollte das dänische Siedlungsprojekt 4200 Kolonistenstellen schaffen, von denen gerade einmal 600 realisiert wurden. Kaum 500 davon überstanden die Gründerzeit, viele verödeten in den darauf folgenden Jahren. Für Christiansholm waren z. B. 38 Stellen vorgesehen.
Wiederbelebt wurde das Projekt der Moorkultivierung erst wieder im Verlaufe des ersten Weltkrieges. Ab 1915 setzte man sowohl Straf- als auch Kriegsgefangene zum Aushub von Entwässerungsgräben ein. In Christiansholm entstand in der Nähe des ehemaligen Bahnhofes ein Arbeits- und Gefangenenlager mit Verwaltungsgebäude und Häftlingsbaracken, Gleise für Lorenbahnen wurden verlegt, eine ganze Infrastruktur aus dem Boden gestampft. Häftlinge, die ihr Soll von 11 Kubikmetern schafften, wurden mit Heringen oder Kautabak belohnt. Gelegentlich kam es vor, daß ein Häftling auf der Flucht erschossen wurde.
Das Ende des Krieges 1918 brachte eine kurze Unterbrechung mit sich, die Kriegsgefangenen wurden in ihre Heimat entlassen. Doch schon ab 1922 nahm man die Entwässerung mit Hilfe von Strafgefangenen wieder auf, zusätzlich wurden die Maßnahmen von freien Arbeitern unterstützt.
Man legte kilometerlange Vorflut- und Entwässerungs- gräben an, auf der ganzen Fläche kamen Drainagerohre zum Einsatz. Allmählich wurde das Moor trockener und senkte sich ab. Die Landschaft wurde ebener und man konnte bald die Dörfer sehen, die sonst hinter den Kuppen des Hochmoores verborgen lagen.
Die Sandschleuse bei Christiansholm hatte die Aufgabe, das dahinter liegende Gebiet vor dem Hochwasser der Eider zu schützen. Bei langanhaltenden und starken Regenfällen staute sich jedoch das Wasser in der oberen Sorge. Dies konnte bei Niedrigwasser in der Eider und Nordsee jedoch oft nicht schnell genug abfließen, bevor das nächste Hochwasser die Schleusentore wieder schloß. So kam es trotzdem immer wieder zu Überschwemmungen.
Daher begann man 1949 mit dem Bau des Schöpfwerkes Sandschleuse. Vier große Elektropumpen sollten die sich stauenden Wassermassen der oberen Sorge trotz Flut in die untere Sorge und somit weiter in die Eider leiten können. Es zeigte sich jedoch, daß die vier Pumpen nicht genug Leistung erbringen konnten und schließlich durch eine fünfte Pumpe ergänzt werden mußten.
Nach dem Passieren der Sandschleuse ist die Sorge wieder den Wirkungen der Gezeiten ausgesetzt. Auf diesen letzten Kilometern bis zur Eider hat sie auch den Status einer Bundeswasserstraße, obwohl sie so gut wie gar nicht mehr befahren wird. In weiten Schleifen zieht der eingedeichte Fluß seine Bahnen, bis er bei der Hohner Fähre schließlich in die wesentlich breitere Eider mündet.
Die Fähre hat schon vor langer Zeit ihren Dienst eingestellt, ein kleiner Hafen für Sportboote nimmt einen Teil des Ufers ein. Paddelboote habe ich keine gesehen. Am Ufer findet sich auch ein Gasthof, auf der anderen Seite versteckt sich ein Campingplatz.
Nur mit viel Mühe habe ich mein Boot aus dem Wasser bekommen; der graue Uferschlick erschwerte den Landgang. Anschließend schnappte ich mir Rucksack und Paddel und machte mich auf den Weg zur nächstgelegenen größeren Straße - mein Plan sah vor, per Anhalter zurück nach Owschlag zu fahren.
Das Paddel in der Hand, so meine Erfahrung, macht viele Autofaher neugierig, beziehungsweise sie können sich erklären, warum ich per Anhalter mitfahren möchte. Doch zuerst mußte ich 3 Kilometer über die Feldwege zur Hauptstraße kommen. Es war bereits acht Uhr am Abend und ganz langsam setzte die Dämmerung ein.
An der Straße angekommen hielt ich den Daumen in den Wind und hoffte auf eine Mitfahrgelegenheit Richtung Rendsburg. Doch es waren kaum Autos auf der Straße. Nach über einer Dreiviertelstunde war die Sonne hinter dem Horizont verschwunden, und langsam fing ich an nervös zu werden.
Schließlich erbarmte sich ein Motorradfahrer meiner und ließ mich als Sozius mitfahren. Da er keinen zweiten Helm mit dabei hatte, war es eine recht zugige Angelegenheit, die mir trotzdem viel Spaß gemacht hat. Die 14 Kilometer bis Rendsburg vergingen wie im Flug.
Auf den nächsten 11 Kilometern über Alt-Duvenstedt nach Owschlag hatte ich allerdings nicht so viel Glück. Nachts um halb zwölf erreichte ich endlich zu Fuß mein Auto. Anschließend fuhr ich zurück zur Hohner Fähre und lud mein Boot auf den Dachgepäckträger. Dann ging es endlich ab nach Hause.
Nachdem ich das Boot in den Flur verfrachtet hatte, gab es erst einmal eine Portion Kartoffelpurree mit Spiegelei und Schinkenspeck, die erste richtige Mahlzeit des Tages. Um halb zwei kam ich dann endlich ins Bett. Um sechs Uhr würde mich der Wecker aus dem Schlaf klingeln und der Montag mit einem zwölf-Stunden-Arbeitstag auf mich warten. Nicht sehr verlockend... Ich sollte lieber Sonnabends paddeln gehen.

Die Tour auf der Sorge war aber trotzdem toll!

Jens

 

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